Foto: Archiv Eric Lindon
Foto: Archiv Eric Lindon

"Wenn der Ball eckig wäre, wäre er ein Würfel"

Heute vor 40 Jahren verstarb die Trainerlegende Gyula Lóránt

31.05.2021

 

Er gehörte zur ungarischen Wunderelf, die im WM-Finale 1954 in Bern als haushoher Favorit der deutschen Nationalmannschaft sensationell mit 2:3 unterlag. Gemeint ist Gyula Lóránt, gebürtig eigentlich Gyula Lipovics, der 1957 seine aktive Spielerkarriere beendete. Fünf Jahre später begann er seine Trainerkarriere und somit sein zweites Fußball-Leben, das ihm auch in Deutschland einen hohen Bekanntheitsgrad bescherte. Zwischen 1965 und 1967 sowie zwischen 1969 und 1971 machte er dabei auch zweimal am Betzenberg Station und übernahm das Traineramt beim 1. FC Kaiserslautern. Heute vor 40 Jahren verstarb der charismatische Fußballphilosoph, der vor allem für seine Härte bekannt war und für seine Ecken und Kanten bis heute einen gewissen Legendenstatus genießt.

 

Geboren wurde Gyula Lóránt am 6. Februar 1923 in Kőszeg in Ungarn, nahe der ungarisch österreichischen Grenze. In seinem Geburtsort begann er mit 16 Jahren beim dortigen Heimatverein Kőszegi SE mit dem Fußballspielen und wurde. Bereits zwei Jahre später folgte der Schritt in die erste ungarische Liga. Zur Saison 1942/43 wechselte er zum damaligen Aufsteiger Haladás Szombathely, nicht weit von seinem Geburtsort entfernt. 1943/44 wechselte er zum Nagyváradi AC, einem eigentlich rumänischen Verein aus der Stadt Oradea nahe der ungarisch-rumänischen Grenze. Die Nationalsozialisten hatten mit dem sogenannten Zweiten Wiener Schiedsspruch Rumänien zu grenznahen Gebietsabtretungen an Ungarn gezwungen. So kam es, dass mit Nagyváradi AC am Saisonende 1944 ein Verein aus einer rumänischen Stadt ungarischer Fußballmeister wurde. Zusammen mit Gyula Lóránt! Nach der Meisterschaft wechselte er zu Nemzeti Vasas und kehrte ein Jahr später zum Nagyváradi AC zurück, der sich nach dem Ende des zweiten Weltkrieges wieder in Libertatea Oradea umbenannt hatte. In der darauffolgenden Saison spielte Gyula Lóránt für den aus der rumänischen Stadt Arad stammenden UTA Arad, mit dem er am Saisonende die Meisterschaft gewann. Es folgten noch Spielerstartionen bei Vasas Budapest (1947 bis 1950 ), Honvéd Budapest (1951 bis 1956 ) und für ein Jahr noch für Váci Vasas. Bei Honvéd Budapest spielte er unter anderem mit Stars wie Ferenc Puskás oder József Bozsik zusammen.

 

Für Ungarns Nationalmannschaft bestritt Gyula Lóránt zwischen 1942 und 1955 insgesamt 42 Länderspiele. Der erste Höhepunkt seiner Karriere war der Gewinn der olympischen Goldmedaille 1952. Er absolvierte 1954 fünf Spiele in der Abwehr der Nationalmannschaft und zählte zu den Spielern, die im legendären Finale der Weltmeisterschaft 1954 in Bern der Auswahl Deutschlands mit Kapitän Fritz Walter und den vier weiteren FCK-Helden unterlagen.

 

Im Jahr 1962 begann für Gyula Lóránt seine Trainerkarriere. Bis April 1963 trainierte er Honvéd Budapest. Von Juli bis Dezember 1963 dann den Debreceni VSC im Osten Ungarns. Im Dezember 1963 verließ er Ungarn und wechselte nach Deutschland, wo er bei insgesamt zehn Trainerstationen dafür sorgte, dass er an seinem für ihn speziellen Image feilte, das ihm bis heute einen gewissen Legendenstatus einbrachte. Am 1. Januar 1964 trat er beim Rheydter SV, einem Stadtteilverein in Mönchengladbach, seine erste Trainerstation in Deutschland an. Mit den Rheydtern belegte er am Ende seiner ersten Saison Platz 5 in der Verbandsliga Niederrhein, in der Folgesaison nur den 12. Tabellenrang. Im Sommer 1965 wechselte Gyula Lóránt dann in die noch junge Fußball-Bundesliga und zwar an den Betzenberg zum 1. FC Kaiserslautern. Dort war in der Rückrunde der vorangegangenen Spielzeit Günter Brocker entlassen worden. Bis zum Saisonende hatte Werner Liebrich den Trainerposten als „Interimstrainer“ übernommen. Mit dem FCK belegte Gyula Lóránt am Ende der Saison 1965/66 den 15. Tabellenplatz, also nur knapp über dem Strich! Doch am Ende der Folgesaison sah die Tabelle für die Roten Teufel schon bedeutend besser aus. Gyula Lóránt führte den FCK mit Spielern wie Wolfgang Schnarr, Helmut Kapitulski, Uwe Klimaschefski, Willy Reitgaßl, Otto Rehhagel oder Dietmar Schwager auf Tabellenplatz 5!

 

Im Sommer 1967 wechselte Gyula Lóránt für eine Spielzeit zum MSV Duisburg und von dort ein Jahr zum damaligen Zweitligisten Tasmania Berlin, ehe er im Sommer 1969 zum Betzenberg zurückkehrte und die Roten Teufel erneut für zwei Spielzeiten übernahm. Mit dem FCK erreichte er dabei jeweils eine achtbaren zehnten und achten Tabellenplatz. Nach seinem zweiten Engagement am Betzenberg folgten Trainerstationen beim 1. FC Köln (1971-1972), Kickers Offenbach (1972-1974) und für kurze Zeit beim Freiburger FC (1974). Danach nahm er die Trainerstelle beim griechischen Erstligisten PAOK Saloniki an und führte die Mannschaft 1976 zur ersten Meisterschaft der Vereinsgeschichte. Anschließend kehrte er nach Deutschland zurück und war im selben Jahr für den Bundesligisten Eintracht Frankfurt tätig.

 

Nach dem 16. Spieltag der Bundesligasaison 1977/78 wechselte Gyula Lóránt zu den Münchner Bayern. Der bisherige Bayern-Coach Dettmar Cramer, der gerade fünf Niederlagen am Stück eingefahren hatte, ging zu Eintracht Frankfurt. Gyula Lóránt hatte das Münchner Ensemble auf dem 12. Platz übernommen und beendete die Saison auf genau dem gleichen Tabellenplatz. Die historisch schlechteste Endplatzierung der Bayern! Im Dezember 1978 wurde er beurlaubt und durch seinen Assistenten Pál Csernai ersetzt. Der letzte Verein, den Gyula Lóránt in Deutschland trainierte, war 1979 der FC Schalke 04. In der Bundesliga saß Gyula Lóránt bei insgesamt 407 Partien auf der Trainerbank. Allerdings bei keinem Verein so lange und so oft wie beim 1. FCK. In 135 Partien betreute er die Pfälzer während seiner insgesamt vier Jahre am Betzenberg.

 

Dass er meist nur eine Spielzeit oder nur wenig länger bei einem Verein blieb, mag auch damit zusammenhängen, dass er auf dem Trainingsplatz ein harter Hund gewesen war und auch insgesamt ein Mensch mit spitzen Ecken und scharfen Kanten. Ein Charakter der aneckte und bisweilen auch derbe Ansichten vertrat. Der Bayern-Arzt Dr. Müller-Wohlfahrt bekannte einmal, "Wegen Gyula Lorant hätte ich beinahe aufgehört. Er hat mir mal erklärt, dass man einen herausgesprungenen Meniskus am besten mit der Eckfahne wieder reinhaut." Bei einem anderen Profi soll er während einer laufenden Bundesliga-Partie auf das verletzte Knie gespuckt, die Spucke mit den eigenen Händen eingerieben, den Spieler hochgehoben und zurück aufs Feld geschoben haben, begleitet mit den Worten: "Jetzt ist wieder alles in Ordnung. Spiel - sonst bist Du tatsächlich Invalide!"

 

Gyula Lóránt war selten um einen Spruch verlegen und nutzte einfachste Erklärungen um seinen geliebten Sport zu interpretieren. Die Herberger Weisheit, der Ball sei rund, ergänzte er mal mit den Worten, "der Ball ist rund. Wäre er eckig, wäre er ja ein Würfel!" Dennoch war er ein Fußballverrückter und war trotz seiner irritierenden Methoden und Aussetzer in Deutschland ein anerkannter und geschätzter Fachmann, der den Fußballsport stets seiner Zeit ein wenig voraus interpretierte. Noch vor Ernst Happel beim Hamburger SV war er der erste Trainer, der die Raumdeckung in Deutschland einführte. Er ließ dieses System bei Eintracht Frankfurt und später beim FC Bayern München spielen. Zunächst setzte sich die Raumdeckung in Deutschland nicht durch, heute ist sie Standard im Weltfußball.

 

1980 kehrte Gyula Lóránt nach Saloniki zurück, wo er seinen größten Erfolg gefeiert hatte. Im Frühjahr des folgenden Jahres erlitt er am 31. Mai bei einem Spiel seiner Mannschaft gegen Olympiakos Piräus auf der Trainerbank einen Herzinfarkt, an dessen Folgen er noch im Stadion starb. Tragisch aber eben auch symptomatisch für einen Fußballverrückten! Sein Todestag jährt sich heute zum 40. mal. Auch im FCK-Museum werden wir dem ehemaligen FCK-Trainer ein ehrendes andenken bewahren.

 

mg

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