Saison 1996/97 (Foto: Archiv Thomas Butz)
Saison 1996/97 (Foto: Archiv Thomas Butz)

"Am Ende stand alles auf einer Papierserviette"

Der ehemalige FCK-Mittelfeldspieler Ratinho feiert 50. Geburtstag

08.06.2021

 

Nach dem ersten Bundesligaabstieg 1996 verpflichtete der 1. FC Kaiserslautern mit Everson Rodrigues, genannt Ratinho, zum zweiten Mal einen Brasilianer. Der quirlige Mittelfeldmann spielte sich unter Trainer Otto Rehhagel binnen kürzester Zeit in die Herzen der Lauterer Fans und hatte maßgeblichen Anteil am direkten Wiederaufstieg der Roten Teufel sowie am sensationellen Gewinn der Deutschen Meisterschaft 1998. Sein Rufname Ratinho, der sinngemäß so viel bedeutet wie "kleine Maus", brachten ihm auch zwei weiter Spitznamen ein. "Mäuschen" als freie Übersetzung aus dem Portugiesischen und "Zaubermaus" wegen seiner filigranen Ballbehandlung und seiner virtuosen Kabinettstückchen auf dem grünen Rasen.

 

Geboren wurde Ratinho in Colorado, im Bundesstaat Paraná, im Südwesten Brasiliens. Seine fußballerischen Jugendjahre verbrachte er ab 1985 in der Fußballschule bei Sociedade Esportiva Matsubara in Cambará, rund 300 Kilometer östlich seiner Geburtsheimat, ehe er im Jahr 1991 als gerade 20-jähriger seine Profilaufbahn in Brasilien beim Club Athletico Paranaense in Curitiba begann. Mit der Mannschaft seiner ersten Profistation gastierte er seinerzeit zu einem Trainingslager in der Schweiz. Bei einem Testspiel gegen den FC Wil, wurde Christian Gross, der damalige Trainer der Schweizer auf ihn aufmerksam. Über einen Spieler-Vermittler, der damals auch Thomas Doll und Karl-Heinz Riedle betreute, wechselte Ratinho dann 1992 in die Schweiz, wo er zunächst auf auf Leihbasis beim FC St.Gallen kickte. 1993 unterschrieb er beim damals frischgebackenen Schweizer Meister FC Aarau, bei dem er drei Jahre blieb.

 

Zum Beginn der Saison 1996/97 wechselte er nach Deutschland zum 1. FC Kaiserslautern, der gerade in die 2. Bundesliga abgestiegen war. Es war kein Geringerer als der Tag vor dem 50. Geburtstag Ratinhos Norbert Thines, der Ratinhos Wechsel zum Betzenberg vorbereitete und eintütete. Noch vor Ende der Spielzeit 1995/96. Der damalige FCK-Präsident verbrachte immer wieder Urlaub im Südschwarzwald, nahe der Schweizer Grenze. Auch Aarau liegt recht grenznah und so wurde ein Treffen im Urlaubshotel von Norbert und Ehefrau Trixi vereinbart. Der einstige Lauterer Flügelflitzer berichtete, dass er sich mit Norbert Thines recht bald einig war. Doch weil der FCK noch im Abstiegskampf steckte, gab es noch keinen finalen Vertrag. "Der Norbert hat sich viele Notizen gemacht. Am Ende stand alles auf einer Papierserviette. Er hat nur gesagt, so machen wir das und wir haben per Handschlag ausgemacht, dass ich nach Kaiserslautern komme", erinnert sich Ratinho mit einem Schmunzeln an die Entstehung seines Kontrakts zum Wechsel in die Pfalz.

 

Beim FCK wurde er auf Anhieb Stammspieler und hatte maßgeblichen Anteil am sofortigen Wiederaufstieg des 1. FC Kaiserslautern. Sein Debüt im Trikot der Roten Teufel absolvierte er am 17. August 1996, als er im Heimspiel gegen den FC Carl Zeiss Jena in der 79. Minute für Jürgen Rische eingewechselt wurde. In der Folgesaison behauptete er seinen Stammplatz und konnte mit dem sensationellen Gewinn der Deutschen Meisterschaft durch den 1. FC Kaiserslautern seinen größten Erfolg als Spieler feiern. Mit dem zur Saison 1997/98 zum FCK gewechselten Andreas Buck bildete er auf der rechten Seite ein sehr gut harmonierendes, fast kongeniales Angriffsduo. Im März 1998 schoss er sogar das "Tor des Monats". Beim Heimspiel gegen den TSV 1860 München am 14. März, dribbelte der wuselige Brasilianer über die linke Seite, ließ seinen Gegenspieler einfach stehen und drosch den Ball mit links in kurze Eck. Im April und im September 1998 sollten sich mit Jürgen Rische und Olaf Marschall übrigens noch zwei weitere Lauterer Akteure den Titel Torschütze des Monats holen.

 

Publikumsliebling Ratinho blieb bis zum Ende der Saison 2002/03 beim 1. FC Kaiserslautern. Da er in den Planungen des damaligen FCK-Trainers Eric Gerets keine Rolle mehr spielte und er in der Rückrunde der Saison 2002/03 nur noch in der Zweiten Mannschaft des FCK bei den Amateuren zum Einsatz gekommen war, wurde sein Vertrag vorzeitig aufgelöst. Ratinho trug in 170 Pflichtspielen das FCK-Trikot, 113 davon in der Bundesliga, wo ihm für den 1. FC Kaiserslautern sieben Tore gelangen. Zwei weitere erzielte in seinen 27 Zweitligaspielen für den FCK.

 

Aus der Pfalz ging es dann auf die andere Seite des Globus. Ratinho wechselte zum chinesischen Erstligisten Shenyang Ginde, wo zu der Zeit Dragoslav Stepanović Trainer war. Übrigens besuchten ihn im Reich der Mitte seinerzeit auch gleich eine handvoll FCK-Fans. Typisch FCK eben! Bereits im Dezember desselben Jahres verließ er den Verein wieder und wechselte zum kasachischen Klub Zhenis Astana. Im Juli 2004 kehrte er in die Schweiz zurück und unterschrieb beim FC Luzern einen Vertrag bis 2006. Dort beendete er mit Auslaufen seines Vertrages seine Karriere als aktiver Fußballer. Nach verschiedenen Stationen als Jugendtrainer bei Schweizer Vereinen kehrte Ratinho am 18. Januar 2010 zum 1. FC Kaiserslautern zurück und trainierte dort für etwas mehr als ein Jahr die U-17-Junioren-Mannschaft des Vereins. Danach war er unter anderem als Techniktrainer im Nachwuchsleistungszentrum beschäftigt und unterrichtete des weiteren auch in Fußball-Camps im Raum Kaiserslautern und Umgebung. Im Sommer 2012 eröffnete er in Kaiserslautern ein brasilianisches Restaurant, drei Jahre später ein weiteres in Trier. Zur Fußball-WM 2014 in Brasilien setzte sich Ratinho für Kinder und Jugendliche in seiner Heimat ein. Er wurde Botschafter der Sportinitiative BoscoArena "1.000 Bälle für Brasilien". Das Kapitel Gastronomie mit seinen beiden Grill-Restaurants beendete Ratinho im Frühjahr 2018 und ging auch aus familiären Gründen zunächst zurück nach Brasilien.

Saison 2002/03 (Foto: Archiv Thomas Butz)
Saison 2002/03 (Foto: Archiv Thomas Butz)

Dort arbeitete er für einen österreichischen Getränkehersteller, der sich seit 2007 auch in Brasilien engagiert, im Jugendbereich einer dortigen Fußballschule. Für das Brauselabel ist er auch heute noch tätig, allerdings nicht mehr in Brasilien, sondern mittlerweile wieder in Europa, genauer gesagt in Salzburg. Seit Januar 2020 ist er in der dortigen Fußball-Akademie Talent-Coach und immer mal wieder für Einzelspieler bei der 2. Mannschaft oder den Profis verantwortlich. So oft er kann weilt er aber auch in der Pfalz. Immerhin lebt eine seiner Töchter noch in Kaiserslautern, eine in Mannheim, während der Sohn im schweizerischen Kriens heimisch geworden ist. "Der Betzenberg, Kaiserslautern, die Pfalz, hier fühle ich mich immer noch sehr wohl. Wenn ich in Kaiserslautern bin, fahre ich immer gerne mal hoch zum Stadion und denke an die tolle Zeit zurück", bekennt der einstige Mittelfeld-Star im heutigen Gespräch. Wer weiß, vielleicht gibt es ja irgendwann mal eine Gelegenheit zum Betzenberg zurückzukehren. Gehen wir einfach davon aus, dass mit dem diesjährigen Wiegenfest die erste Halbzeit vorbei ist. Wer weiß was in der zweiten Halbzeit noch alles auf Ratinho wartet. Zum 50. Geburtstag gratuliert auch das Museumsteam aufs Herzlichste.

 

mg

...zurück