Foto: 1. FC Kaiserslautern
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Aus der Hölle in den Himmel und zurück

Ein Last-Minute-Treffer am 6. November 1991 besiegelte das FCK-Aus im Europapokal der Landesmeister

06.11.2021

 

Siege und Triumphe sind der Nährboden für Legendenbildung. Doch nicht immer ist ein Sieg in einem Fußballspiel auch Garant dafür, dass daraus ein Erfolg erwächst, der den Weg für höhere Meriten ebnet. So kann in einem Sieg, der in seiner Wirkung letztlich doch eine Niederlage darstellt, auch bittere Tragik stecken. Eine Tragik, die dazu taugt, die Jahrzehnte zu überdauern und sowohl bei Akteuren als auch bei Zeitzeugen schaurige Erinnerungen zu wecken. Doch die langjährige Geschichte namhafter Fußballvereine zieren eben nicht nur Siege und Triumphe, sondern auch bittere Niederlagen und tragische Rückschläge. Die FCK-Fans können ein Lied davon singen, wenn sie an den 6. November 1991 erinnert werden. Es hätte eine der größten Geschichten in den Annalen des pfälzischen Traditionsclubs werden können. Hätte! Im positiven Sinne! Doch für den FCK und seinen Anhang avancierte der Ausgang des Spiels gegen den ruhmreichen FC Barcelona im Europapokal der Landesmeister zu einem emotionalen Desaster. Wegen einer einzigen Unachtsamkeit in der 90. Spielminute.

 

Wurden bis 1991 die Finalisten im Europapokal der Landesmeister ausschließlich im KO-System ermittelt, gab es ab der Spielzeit 1991/92 einen neuen Modus. Nach dem Achtelfinale, also nach der ersten und zweiten KO-Runde, wurden die verbleibenden Mannschaften in zwei Gruppen eingeteilt. Die beiden Gruppenersten bestritten dann das Finale. Der FCK durfte nach dem sensationellen Gewinn der Meisterschaft 1991 in der Spielzeit 1991/92 also erstmals im Europapokal der Landesmeister ran. Der Gegner in der ersten Runde war der bulgarische Vorjahresmeister FK Etar Tarnovo, der übrigens im Jahr 2003 aufgelöst wurde und heute nicht mehr existiert. Eine Aufgabe, die der FCK seinerzeit problemlos löste. Am 17. September 1991 gelang vor heimischem Publikum durch zwei Tore von Wolfgang Funkel ein ungefährdeter 2:0-Sieg. Beim Rückspiel am 2. Oktober 1991 gingen die Bulgaren zwar kurz vor dem Halbzeitpfiff mit 1:0 in Führung, doch Blondschopf Jürgen Degen markierte in der 90. Spielminute den verdienten Ausgleich und garantierte damit das Weiterkommen der Roten Teufel. In der zweiten Runde bescherte die Auslosung dem FCK dann einen echten Kracher. Der Gegner hieß FC Barcelona!

Foto: Archiv Erich Huber
Foto: Archiv Erich Huber

Nach der Viertelfinalbegegnung im UEFA-Cup der Saison 1981/82 gegen Real Madrid nun also das zweite Schwergewicht des spanischen Fußballs auf internationaler Bühne. Doch auch hier galt, keine Angst vor großen Namen. Respekt ja, aber keine Angst! Im Hinspiel im Stadion Camp Nou unterlag der FCK vor 65.000 Zuschauern den Katalanen dennoch mit 0:2 Toren. Obwohl sich die Mannschaft von Karl Heinz Feldkamp im ersten Durchgang einem spielerisch überlegenen Gegner gegenüber sah, hatten die Roten Teufel trotzdem einen respektablen Auftritt hingelegt. Zweimal hatten die Katalanen den Ball schon ins Lauterer Tor befördert, doch in beiden Situationen verweigerte der Unparteiische die Treffer wegen Abseitsstellung. Kurz vor der Halbzeit hatte Txiki Begiristain die Gastgeber dann doch in Führung gebracht und nur wenige Minuten nach Wiederanpfiff markierte er den zweiten Treffer des Abends. Im zweiten Durchgang war der FCK offensiv allerdings mutiger und hatte durchaus Chancen auf den Anschlusstreffer. Guido Hoffmann war es, der kurz vor Ende der Partie die aussichtsreichste Gelegenheit hatte. Kurz hinter dem Mittelkreis schnappte er sich bei einem verunglückten Querpass der Spanier den Ball, marschierte Richtung gegnerisches Tor, umspielte den heraus eilenden Andoni Zubizarreta im Tor der Spanier und schoss die Kugel mit seinem schwächeren rechten Fuß knapp am Tor vorbei. Eine hundertprozentige Chance, deren Verwertung die Aussichten im Rückspiel für den FCK deutlich verbessert hätte.

 

Trotzdem war die Chance reell, das Ergebnis im Rückspiel korrigieren zu können und sich so das Weiterkommen zu sichern. Zu jener Zeit war die Heimstärke der Roten Teufel berüchtigt und legendär. Das bekamen fast zehn Jahre zuvor die königlichen Madrilenen, die mit einem 5:0 aus dem Stadion gefegt wurden, ja schließlich auch zu spüren. Das Fritz-Walter-Stadion war an jenem 6. November 1991 mit 30.200 Zuschauern restlos ausverkauft. Die Kulisse war es, die dieser Partie schon vor dem Anpfiff einen ersten Stempel aufdrückte, der allein schon zur Legendenbildung gereicht hätte. Beim Einlaufen der Mannschaften verwandelten die Fans mit einer phänomenalen Pyroshow die komplette Westtribüne in ein rotes Feuermeer, das zusammen mit der akustischen Begleitung für jeden Betrachter wie die Eingangspforte zur Hölle anmuten musste. Flankiert von den Bildern der brennenden Westtribüne sprach SWR-Moderator Thomas Wehrle in einem späteren TV-Beitrag zu Rückbetrachtung und Aufarbeitung jenes Abends, gar ehrfurchtsvoll von einem „Fußballfest von Anfang an - der Betzenberg als Gesamtkunstwerk“. Eine Hommage für die Ewigkeit! Vor allem, wenn man sich vor Augen hält, wie unnachgiebig in heutigen Tagen versucht wird, das Stilmittel Pyrotechnik aus den Stadien fernzuhalten und wie sich die Verbalurteile mancher Berichterstatter, die all dem vor 30 Jahren vielleicht noch Bewunderung abgewinnen konnten,  heute anhören - o tempora, o mores, wie der römische Philosoph Cicero schon treffend anzumerken wusste!

Foto: Archiv Eric Lindon
Foto: Archiv Eric Lindon

Das Team der Gäste war in jenen Tagen gespickt mit so klangvollen Namen wie Andoni Zubizarreta, Ronald Koeman, Josip Guardiola, Michael Laudrup oder Hristo Stoitschkov. Sicher der zweite Stempel, der die Partie am Betzenberg auszeichnete. International gestandene Spielerpersönlichkeiten, die sich schon beim Gang auf den Rasen von der höllischen Bühne beeindruckt zeigten und das später auch immer wieder bekundeten. Ehrfurchtsvoll und mit Respekt! Die Bühne also war bereitet, der hell erleuchtete Rasen umgarnt von einer Höllenbühne, die neben den Zuschauern im Stadion auch Millionen Zuschauer bei der Live-Übertragung des ZDF an ihren Bildschirmen verfolgten. Der FCK legte los wie die Feuerwehr und war vom Anpfiff weg bemüht, die Spanier unter Druck zu setzen. Folgerichtig kam der FCK schnell zu ersten guten Torchancen. Eine erste dicke Einschussmöglichkeit hatte Demir Hotic, der an jenem Abend auf dem Spielfeld zu brennen schien, wie die Tribüne vor dem Anpfiff. Nach einer gefühlvollen Flanke in die Spitze fiel der Ball Demir Hotic vor die Füße, nachdem sein Gegenspieler das Leder verpasste, doch der Lauterer brachte die Kugel aus kurzer Distanz nicht am spanischen Keeper vorbei. Es dauerte bis zur 35. Minute, ehe sich das Lauterer Publikum die Anspannung erstmals von der Seele schreien durfte. Erneut war es Demir Hotic, der sich im Fünfmeterraum gegen den spanischen Keeper behaupten konnte und eine von rechts getretene Ecke per Kopf zur Lauterer Führung einnetzte. Das Stadion nun ein Tollhaus! Nur wenige Minuten später kam der FCK erneut über rechts. Eine Flanke von Oliver Schäfer von der Strafraumgrenze erreichte Demir Hotic am langen Pfosten, der legte quer auf Guido Hoffmann, der mit seinem Schussversuch Andoni Zubizarreta das Leder genau in die Arme bugsierte. Mit der knappen aber hochverdienten Führung ging es in die Kabine.

 

Nach dem Seitenwechsel spielte der FCK weiter druckvoll. Nur wenige Minuten nach Wiederanpfiff erneut eine Lauterer Ecke von rechts. Der Ball kam auf den kurzen Pfosten, wurde per Kopf über Freund und Feind hinweg verlängert und am langen Pfosten stand mutterseelenallein wieder der an diesem Tag überragende Demir Hotic, der die Kugel per Kopf über die Linie bugsierte. Die frenetische Kulisse schien zu explodieren, hatte der FCK das Hinspiel-Ergebnis mit dem zweiten Treffer doch tatsächlich egalisiert. Die Karten wurden nun neu gemischt. Der FCK spielte wie entfesselt weiter und hatte zweimal durch Stefan Kuntz und einmal durch Uwe Scherr weitere hochkarätige Chancen. Doch in der 76. Minute war es dann so weit. Frank Lelle setzte mit einem langen Ball den Dänen Bjarne Goldbaek in Szene, der in halbrechter Position aus vollem Lauf abzog und das Leder zum 3:0 in die Maschen drosch. Der Betzenberg glich nun einem Vulkan! Nur wenige Zeigerumdrehungen später hätte Bjarne Goldbaek endgültig alles klarmachen können, doch er scheiterte mit seinem Schuss aus elf Metern am spanischen Keeper. Die Minuten rannen von der Uhr und die Spanier holten in der 90. Minute nochmal einen Freistoß raus. Aus knapp 40 Metern Entfernung hob Ronald Koemann das Leder in hohem Bogen in den Lauterer Sechzehner. An der linken Ecke des Fünfmeterraums behauptete sich José Maria Bakero im Luftkampf, beförderte das Leder per Kopf irgendwie Richtung Tor und zum Entsetzen der Zuschauer und aller FCK-Akteure senkte sich die Kugel über Torwart Gerry Ehrmann hinweg am langen Pfosten ins Lauterer Tor.

Foto: 1. FC Kaiserslautern
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Ein Augenblick in dem man lähmendes Entsetzen förmlich mit Händen greifen konnte. Der FCK versuchte in den verbleibenden zwei Minuten Nachspielzeit zwar weiter anzurennen, doch die Akteure im Trikot der Roten Teufel blieben dabei glücklos. Der Schlusspfiff des schwedischen Unparteiischen Erik Fredriksson erlöste die Katalanen und ließ die Spieler des FCK entsetzt zu Boden sinken. Der FCK und seine Fans hatten binnen 90 Minuten einen Galoppritt aus der Hölle in den Himmel und binnen weniger Sekunden wieder zurück in die Hölle erlebt. Das Ende aller Träume von einer lukrativen Gruppenphase, die dem FCK wohl Millionen in die Kassen gespült hätte. Spieler und Verantwortliche rangen in den folgenden Interviews um Worte und es dauerte ein paar Tage, bis der Schockstarre dennoch so etwas wie Stolz folgte. Man hatte immerhin den großen FC Barcelona besiegt, hatte das Starensemble von Trainer Johan Cruyff über weite Strecken der Partie in Grund und Boden gespielt und das Spiel mit 3:1 gewonnen. Dennoch blieb eben der ganz große Wurf, nämlich der Einzug in die Gruppenphase des Wettbewerbs verwehrt. Die Katalanen holten sich dann auch am Ende den Titel, gewannen im Wembley-Stadion gegen Sampdoria Genua mit 1:0 nach Verlängerung.

 

Auch in Barcelona erinnert man sich bis heute an die legendäre Partie. Auch die Presse zitiert noch heute gelegentlich das Spiel am Betzenberg, wenn ein Spiel einen allzu glücklichen Ausgang nimmt. Aber nicht nur in der Pfalz und in Kaiserslautern bleiben das denkwürdige Spiel und das Höllenspektakel auf den Rängen unvergessen. Auch in Barcelona hat die damalige Begegnung mit den Roten Teufeln einen hohen Stellenwert. So besuchte im April 2017 im Rahmen einer Dokumentation über den FC Barcelona der damalige Torschütze José Maria Bakero gemeinsam mit seiner Tochter den Betzenberg. Gemeinsam mit Pressesprecher Stefan Roßkopf stattete die kleine spanische Delegation auch dem FCK-Museum einen Besuch ab, um Erinnerungen rund um dieses Spiel aufleben zu lassen. Der Spanier zeigte sich überrascht, als er in der Ausstellung das blau-rot gestreifte Trikot mit der Nummer 6 sah, das er selbst im Hinspiel im Camp Nou gegen den FCK getragen hatte. Das Trikot hatte er damals nach dem Spiel mit Guido Hoffmann getauscht, der es später dem FCK Museum zukommen ließ. Der Spanier hatte noch viele Erinnerungen an das Spiel auf dem Betze. Vor allem erinnerte er sich an die unglaubliche Atmosphäre, die „bis heute einzigartig ist“, wie er respektvoll anerkannte. Wohlklingende Worte, die es heute dem einen oder anderen FCK-Fan möglich machen sollten, speziell hinsichtlich seines späten und für den FCK tragischen Treffers, ihren Frieden zu schließen.

 

mg

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