Foto: 1. FC Kaiserslautern
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Eine Sternstunde der UEFA-Cup-Geschichte

Am 17. März 1982 fegten die Roten Teufel Real Madrid mit 5:0 vom Betzenberg

17.03.2022

 

Die Europapokal-Saison der Spielzeit 1981/82 war für den FCK in mehrfacher Hinsicht denkwürdig. Zum dritten Mal in Folge präsentierten sich die Roten Teufel auf internationalem Parkett. Erstmals in seiner Geschichte erreichte der Verein das Halbfinale eines internationalen Wettbewerbs. Zuvor hatte es lediglich zweimal zum Einzug ins Viertelfinale des UEFA-Cups gereicht. Das war 1973 und 1980. In beiden Fällen war dann im Viertelfinale Schluss. Jeweils gegen deutsche Vereine. Einmal gegen Borussia Mönchengladbach und einmal gegen den FC Bayern München. Doch im Frühjahr 1982 gelang der Sprung unter die letzten vier. Vor allem das Rückspiel im Viertelfinale geriet zu einem Ereignis, das in die Fußball-Geschichtsbücher Einzug hielt und das bis heute an Leuchtkraft nicht verloren hat. Ausgerechnet gegen einen der wohl glanzvollsten Vertreter auf der europäischen Vereinsbühne, ausgerechnet gegen Real Madrid! Am heutigen 17. März 2022 jährt sich das Viertelfinalspiel im UEFA-Cup gegen die königlichen Spanier zum 40. Mal.

 

Nachdem sich der FCK im Achtelfinale des UEFA-Cups gegen den KSC Lokeren durchgesetzt hatte, nährte der dritte Einzug ins Viertelfinale eines europäischen Wettbewerbs einmal mehr die Sehnsucht zahlreicher FCK-Fans. Die Sehnsucht nach einem großen Titel, der dem FCK auf nationaler Ebene seit Gründung der Bundesliga bislang verwehrt geblieben war. Immerhin, seit Kalli Feldkamp 1978 das Traineramt übernommen hatte, schloss die Elf vom Betzenberg das Meisterschaftsrennen zweimal auf Rang drei und einmal auf Rang vier der Bundesliga ab, während man zu Beginn des Jahres 1982 eher im Mittelfeld der Tabelle rumdümpelte. Am Ende der Saison reichte es übrigens doch noch zum vierten Platz in der Tabelle. Aber eben nicht zum Titel. Im DFB-Pokal standen die Roten Teufel seit 1963 zwar bereits dreimal im Finale, doch auch hier gab es mit den Niederlagen gegen Schalke (1972), den Hamburger SV (1976) und die Frankfurter Eintracht (1981) bislang keinen Titel zu feiern. Warum also nicht erstmals eine Trophäe auf internationalem Parkett einfahren?

Das Stadionheft "Hinein" zum Rückspiel gegen Real Madrid (Foto: Archiv Eric Lindon)
Das Stadionheft "Hinein" zum Rückspiel gegen Real Madrid (Foto: Archiv Eric Lindon)

Doch dafür musste erst einmal der Sprung ins Halbfinale gelingen. Die Auslosungen zu den europäischen Wettbewerben wurden in Genf vorgenommen. Freitags, meist um die Mittagszeit, jagten die Ergebnisse über die Ticker der Nachrichtenagenturen. Es gehörte zu den Ritualen jener Jahre, in diesen Stunden möglichst keine Radiosendung zu verpassen. Als dann bekannt wurde welches Los der FCK gezogen hatte, schien die ganze Fußball-Pfalz wie elektrisiert. Der FCK spielte im Viertelfinale gegen Real Madrid! Die geloste Paarung gegen den vermeintlich übermächtigen Gegner, ließ die Sehnsüchte vieler Fans nach einem Titelgewinn zwar gleich wieder platzen, doch die Vorfreude auf die Madrilenen überwog. Schon in den frühen Nachmittagsstunden war die Ticketbestellung auf der Schreibmaschine getippt, Verrechnungsscheck beigelegt, wie es in jenen Jahren üblich war und ab damit in den Briefkasten. Doch wie sollte man gegen die vermeintlich übermächtigen Spanier bestehen? Ein Hoffnungsschimmer lag in dem Umstand, dass der FCK das Rückspiel vor heimischer Kulisse austragen konnte. Schon oft war dies in der Vergangenheit ein Trumpf, wenn es in einem KO-Wettbewerb darum ging, eine Scharte aus einem Hinspiel noch einmal wettzumachen. Es galt also, das Hinspiel-Ergebnis so ausgeglichen wie möglich zu gestalten. Im Hexenkessel des Estadio Santiago Bernabéu kein einfaches Unterfangen.

 

Doch die Roten Teufel schienen beim ersten Aufeinandertreffen mit den Königlichen an jenem 3. März 1982 zunächst auf dem besten Wege zu sein, richtig unter die Räder zu kommen. Die Spanier führten nach etwas mehr als einer halben Stunde durch Tore von Laurie Cunningham und Javi Hernandez bereits mit 2:0. Die Madrilenen fielen außerdem vor allem durch eine recht rüde Spielweise auf, die den Roten Teufeln mächtig Respekt einflößte. So musste Friedhelm Funkel schon nach 40 Minuten mit einer schmerzhaften Fußverletzung vom Platz getragen und ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ihm folgte ab Minute 70 dann auch Hans-Peter Briegel, den es nach einem ebenfalls harten Foul erwischt hatte. Zwischenzeitlich hatten die Hausherren durch Juanito bereits auf 3:0 erhöht. Der Traum vom Halbfinale schien bis hierhin für die meisten schon ausgeträumt. Doch dann war es Norbert Eilenfeldt, der nach einem Foul an Bruno Hübner den fälligen Strafstoß sechs Minuten vor dem Abpfiff eiskalt verwandelte und so den Anschlusstreffer zum 3:1 markierte. Ein ergebnistechnischer Strohhalm für die zweite Schlacht gegen die Königlichen.

Eines der 34.500 Tickets (Foto: Archiv Eric Lindon)
Eines der 34.500 Tickets (Foto: Archiv Eric Lindon)

In den zwei Wochen bis zum Rückspiel liefen sich auch die FCK-Fans heiß. An Stammtischen, in Schulklassen, am Arbeitsplatz, im Familienkreis, überall war das Spiel gegen die Madrilenen eines der meistdiskutierten Themen. Die Fußball-Pfalz „dischbedierte“ sich die Köpfe darüber heiß, wie es gelingen könnte, den Spaniern doch noch den Schneid abzukaufen. Dabei beschworen nicht wenige auch vermeintlich höhere Mächte, denen man im Falle eines Weiterkommens so manches Versprechen offerierte: „wann mer weiterkummen, dann wer ich….dann mach ich….dann loss ich…“, lautete der Einstieg so mancher mentaler Opfergabe, die man bereit war auf sich zu nehmen, wenn doch nur das Wunder einträte und der FCK die nächste Runde erreichen würde. Auch der Autor schloss einen Deal mit dem Fußballgott. Sechs Monate lang nur noch Mineralwasser, wenn wir ins Halbfinale einziehen! So lautete mein vollmundiges Versprechen, das im privaten Umfeld allerdings nicht mehr als ein müdes Lächeln erntete. Noch vorhandene Zweifel zu einem Weiterkommen wichen bis zum Tag des Rückspiels bei vielen FCK-Fans einer Haltung aus Trotz und Wut, nachdem der Südwestfunk (SWF) in einer Vorberichterstattung das Abschlusstraining der Madrilenen dokumentierte. Trainer Vujadin Boskov hatte zum Aufwärmen Schattenboxen angeordnet, was bei den Anhängern der Roten Teufel nicht besonders gut ankam und nach der im Hinspiel schon harten Gangart als aggressive Provokation empfunden wurde. Jetzt erst Recht!

 

Mit 34.500 Zuschauern war die Partie restlos ausverkauft. Der FCK hätte mehr als das Dreifache des Kontingents absetzen können. Die Tickets, samt einem verpflichtend abzunehmenden Zusatzticket für eine weniger attraktive Bundesligapaarung, lagen seit Tagen wie ein Kleinod griffbereit neben den sorgsam zurechtgelegten Utensilien zum Stadionbesuch. Die entschlossene und giftige Stadionkulisse baute sich schon weit mehr als eine Stunde vor Anpfiff auf den Rängen auf. Auch die Westkurve füllte sich an jenem Abend schnell, brachte sich früh in Stimmung. Vor allem der gestenreiche verbale Kleinkrieg gegen eine etwa 50-köpfige Gruppe Spanier, die unter dem Dach der Südtribüne unmittelbar neben der Westkurve Platz genommen hatten, ist noch in bester Erinnerung. Die siegessicheren Spanier in ihren Hochglanz-Fanartikeln, provozierten den Old-School-Fanblock lange vor dem Anpfiff mit Rufen, Gesten, Becherwürfen, Häme und Spott. Die Gegen-Reaktion aus der Kurve war nicht minder intensiv.

Foto: Archiv 1. FC Kaiserslautern
Foto: Archiv 1. FC Kaiserslautern

Ob die beiden im Hinspiel verletzt ausgeschiedenen FCK-Akteure im Rückspiel wieder einsatzfähig sein würden, war lange unklar. Friedhelm Funkel stieg erst am Vortag des Spiels wieder ins Training ein, gab trotz schmerzhafter Beschwerden grünes Licht. Für Trainerfuchs Karl-Heinz Feldkamp ein wichtiger Puzzlestein in den Überlegungen gegen die Spanier am Ende doch noch zu triumphieren. Auch Hans-Peter Briegel konnte im Rückspiel wieder ran. „Habt keine Angst vor den Spaniern, geht selbst bis an die Grenze des Erlaubten, bringt das Publikum hinter Euch“, lautete eine der Vorgaben von Kalli Feldkamp für die bevorstehenden 90 Minuten. Es war angerichtet und der FCK legte los wie die Feuerwehr, während die Spanier dort weiterzumachen schienen, wo sie zwei Wochen zuvor aufgehört hatten. Mit einer harten und wenig königlichen Gangart.

 

Schon nach wenigen Minuten war es erneut Friedhelm Funkel, der dies zu spüren bekam. Getreu der Trainer-Vorgabe sich auch mal provokant zu geben, wälzte sich der lange bärtige Schlacks nach einem nicht ganz so harten Foulspiel auf dem Boden und ließ sich behandeln. Alles was rot-weiß im Herzen trug, schäumte und tobte vor Wut. Nur wenige Minuten später entlud sich die gallige Atmosphäre in einem explosionsartigen Jubelschrei. Nach einer feinen Flanke von Hannes Bongartz zog Friedhelm Funkel aus der Drehung aus spitzem Winkel ab und zum Entsetzen der Spanier kullerte das Leder Keeper Augustin durch die Beine ins Tor. Der FCK führte und rannte weiter wie entfesselt an. Nur sieben Minuten später wagte Andy Brehme nach einer Flanke von rechts einen Schussversuch, bei dem der Ball in hohem Bogen an die Latte trudelte. Die Kugel sprang von da Friedhelm Funkel genau vor die Füße, der aus kürzester Distanz den Ball zum 2:0 über die Linie drückte. Gerade mal eine Viertelstunde war gespielt und der FCK hatte das Hinspiel-Ergebnis bereits egalisiert. Der Betzenberg glich einem Tollhaus! Die spanischen Spieler waren sichtlich angefressen und auch dem provokanten Häuflein spanischer Edelfans unter dem Dach der Südtribüne waren die Gesichtszüge längst entglitten.

Die Mannschaftsaufstellungen (Foto: Archiv Eric Lindon)
Die Mannschaftsaufstellungen (Foto: Archiv Eric Lindon)

Auf dem Feld bahnte sich des Dramas zweiter Akt an. Die sichtlich überforderten Spanier wussten sich gegen die Lauterer Spiellust fast nur noch mit unfairen Mitteln zu helfen. Als Isidoro San Jose in der 34. Minute den wieselflinken Beppo Hofeditz nur mit einer überharten Grätsche stoppen konnte, zückte der ungarische Schiedsrichter Karoly Palotai die rote Karte. Nur sechs Minuten später dezimierten sich die Madrilenen ein zweites Mal. Laurie Cunningham legte fünf Minuten vor der Pause auf der rechten Seite ein wildes Dribb­ling hin. Hans-Peter Briegel grätschte ihm von hinten in die Beine, doch er blieb am Ball. Als Friedhelm Funkel ihn auflaufen ließ, brannten ihm alle Sicherungen durch. Für sein Nachtreten gab es die rote Karte. Mit elf gegen neun ging es in die Pause.

 

Nach dem Seitenwechsel machte der FCK dort weiter, wo er vorher aufgehört hatte und ließ des Dramas dritten Akt folgen. In der 50. Minute startete Hannes Bongartz, der an jenem Abend vielleicht das Spiel seines Lebens machte, einen unwiderstehlichen Sololauf über die linke Seite. Nach zwei seiner berühmten Übersteiger schlenzte er das Leder elegant ins rechte untere Eck zum 3:0 für den FCK. Das vielleicht schönste Tor des Abends. Dem FCK gelang fortan alles. Die Mannschaft spielte weiter wie aus einem Guss und schien die Spanier förmlich überrollen zu wollen. Nur sechs Minuten nach dem Treffer von Hannes Bongartz war es Norbert Eilenfeldt, der nachlegte. Rainer Geye legte nach einem feinen Sololauf über die rechte Seite das Leder flach in die Mitte, wo sich Norbert Eilenfeldt gegen seinen Gegenspieler durchsetzte und die Lauterer Führung auf 4:0 ausbaute. Auf den Rängen die pure Euphorie. Die Madrilenen mussten nun selbst schmerzlich erfahren, wie es sich anfühlte, einen komfortablen Hinspiel-Vorsprung in einem Hexenkessel schier ohnmächtig noch zu verspielen. Nach einer Stunde bot sich den Gästen die Möglichkeit nochmal ranzukommen. Friedhelm Funkel hatte einen Schuss der Spanier auf der Torlinie mit beiden Fäusten abgewehrt. Ein klarer Elfmeter. Doch Rafael García Cortés scheiterte vom Punkt an Teufelskerl Ronnie Hellström, der die Kugel mit einer souveränen Glanzparade parierte. Es blieb beim 4:0 für den FCK.

Foto: Archiv 1. FC Kaiserslautern
Foto: Archiv 1. FC Kaiserslautern

Den letzten Akt des Dramas läutete Franciso Pineda ein, der fünf Minuten nach dem verschossenen Elfmeter auf der linken Seite in Höhe der Eckfahne nach einem Ballverlust den dribbelstarken Beppo Hofeditz mit einem heftigen Tritt einfach umnietete. Auch er wurde von Schiedsrichter Palotai zu Recht frühzeitig zum Duschen geschickt. Die Spanier waren spätestens hier völlig von der Rolle und mussten die letzten 20 Minuten mit drei Mann weniger auskommen! So war es auch nur eine Frage der Zeit, wann die Roten Teufel noch einmal zuschlagen würden. Die Beantwortung dieser Frage sollte in der 73. Minute Rainer Geye vorbehalten sein, der mit einem weiteren Tor den 5:0-Endstand markierte. Nach einer flachen Hereingabe von Beppo Hofeditz stand der Routinier völlig blank und konnte das Leder aus kurzer Distanz im Tor der Spanier unterbringen. Eine Demütigung für die erfolgsverwöhnten Spanier, die an diesem Abend eine der heftigsten Niederlage ihrer königlichen Europapokalgeschichte quittierten. Fans und Spieler des FCK hingegen feierten noch lange nach dem Abpfiff ausgelassen und euphorisiert und durften nun vom Einzug ins Finale träumen.

 

Bei diesem Traum war es jedoch leider geblieben. Nach einem 1:1 am heimischen Betzenberg mussten sich die Roten Teufel im Halbfinal-Rückspiel dem späteren UEFA-Cup-Gewinner IFK Göteborg mit 1:2 nach Verlängerung geschlagen geben. Nach einer bis heute unglücklichen und diskutablen Elfmeter-Entscheidung des Unparteiischen. Dennoch wird der Abend des 17. März 1982 mit der Partie gegen die königliche Garde von Real Madrid auf ewig in Erinnerung bleiben. Für alle, die damals im Stadion mit dabei waren oder die zuhause am Bildschirm mitfieberten. Die sechs Monate Mineralwasser - auch schon zum Frühstück - haben übrigens gut getan. Vielleicht eine Überlegung wert sich mal wieder auf einen Deal mit dem Fußballgott einzulassen. Konstellationen und Gelegenheiten gäbe es durchaus, wenn auch derzeit nicht auf internationaler Bühne.

 

mg

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