Mannschaftsfoto Saison 1973/74 (Foto: 1. FC Kaiserslautern)
Mannschaftsfoto Saison 1973/74 (Foto: 1. FC Kaiserslautern)

7:4

Das Wahnsinnsspiel gegen Bayern München

20.10.2023

 

Vor 50 Jahren erlebte der Betzenberg ein Spiel, das sich fest im kollektiven Gedächtnis der FCK-Anhänger verankert hat: Die Begegnung am 20. Oktober 1973 gegen den FC Bayern München.

 

Spiele gegen den FC Bayern besaßen seit der Heimbegegnung des FCK gegen die Münchner am 23. April 1966, die mit vier Feldverweisen und einem 2:1-Sieg der Bayern endete, eine besondere Brisanz. Das Spiel war aus dem Fugen geraten, als in der ersten Halbzeit FCK-Außenläufer Jürgen Neumann seinen Gegenspieler mit einem Kopfstoß attackierte und folgerichtig von Schiedsrichter Herden einen Platzverweis erhielt. Dem Schiedsrichter war jedoch entgangen, dass Neumann von seinem Kontrahenten zuvor angespuckt worden war. Die Lauterer Spieler fühlten sich benachteiligt, die Begegnung nahm an Härte zu und es folgten weitere Feldverweise für die FCK-Akteure Klimaschefski und Wrenger sowie den Münchner Koulmann.

 

Dem Spiel mit seinen unschönen Begleiterscheinungen folgten Kommentare seitens einiger FC Bayern-Verantwortlicher und der Presse, die den Ruf des 1. FCK und seiner Mannschaft als "Kloppertruppe", "Bauern" und "Provinzler" nachhaltig schädigten. Dies war der Beginn einer herzlichen Abneigung der FCK-Fans gegen den FC Bayern aus der Millionenstadt München, einen Verein, der in den nachfolgenden Jahren und Jahrzehnten allerdings eine grandiose Erfolgsgeschichte im deutschen Fußball schreiben sollte. Dennoch gelang es dem 1. FCK, einige Begegnungen mit den Bayern in den Jahren 1967 bis 1972 unentschieden zu gestalten und vier Heimspiele sogar zu gewinnen.

 

Am 5. Mai 1973 gingen die Roten Teufel im Münchner Olympiastadion mit 6:0 sang- und klanglos unter, wobei FCB-Mittelstürmer Gerd Müller allein fünf Tore erzielte. In der neuen Saison 1973/74 brachte der 20. Oktober 1973 das Heimspiel des 1. FCK gegen den FC Bayern. Zwar hatte sich der FCK für die neue Spielzeit mit dem schwedischen Nationalstürmer Roland Sandberg verstärkt und Hermann Bitz sowie Klaus Toppmöller waren Stammspieler geworden, die Fans bezweifelten vor diesem Spitzenspiel jedoch, dass sich die Lauterer für das schmerzhafte 6:0 fünf Monate zuvor würden revanchieren können.

 

Und prompt schienen sich die Befürchtungen der FCK-Fans unter den 34.000 Zuschauern zu bestätigen, denn nach einer guten halben Stunde führte der Favorit aus München nach zwei Toren von Gersdorff und einem Treffer von Gerd Müller mit 3:0. Kurz vor dem Halbzeitpfiff konnte Seppl Pirrung einen Abwehrfehler der Bayern nutzen und zum 3:1-Halbzeitstand verkürzen.

 

In der Pause wurde die Frage diskutiert, ob es für den FCK vielleicht doch noch eine Chance auf ein Unentschieden geben würde, denn immerhin hatten Pirrung und Sandberg einige gute Szenen gehabt. Die Hoffnungen der Optimisten unter den FCK-Anhängern schwanden jedoch in der 57. Spielminute, als Franz Beckenbauer aus dem Mittelfeld heraus in unnachahmlicher Eleganz in den Lauterer Strafraum kurvte und seinen Mittelstürmer Gerd Müller mit einem genialen Kurzpass bediente, den dieser zu seinem zweiten Treffer an diesem Nachmittag verwerten konnte. 4:1 für den FCB, das Spiel schien gelaufen zu sein - und tatsächlich verließen einige Zuschauer, die sich ein erneutes Desaster ersparen wollten, enttäuscht das Stadion.

Bild: Archiv Eric Lindon
Bild: Archiv Eric Lindon

Doch kaum zwei Minuten später wuchtete Klaus Toppmöller einen Kopfball unerreichbar für Nationaltorhüter Sepp Maier zum 4:2 unter die Latte. Dieses Tor schien eine Art Signalwirkung für die Mannschaft des 1. FCK zu haben, denn energisch stürmten nun die Roten Teufel in die Hälfte der Bayern, auch die Abwehrspieler Huber, Fuchs und Diehl schalteten sich in die Offensivaktionen ein - und nur drei Minuten nach Toppmöllers Treffer war es der an diesem Nachmittag kaum zu bremsende Seppl Pirrung, der seinen Bewachern enteilte und Sepp Maier zum 4:3 überwand. Ein Jubelsturm der FCK-Anhänger tobte durch das Stadion, der ersehnte Ausgleich war plötzlich doch noch erreichbar - und viele der zweifelnden Zuschauer, die das Stadion bereits verlassen hatten, kehrten nach dem Torschrei der 34.000 wieder zurück - rechtzeitig, um in der 73. Spielminute mitzuerleben, wie Seppl Pirrung einen kurz abgewehrten Freistoß mit kraftvollem Schuss aus halbrechter Position zum Ausgleich in das Bayern-Tor beförderte. In den Kurven und auf den Tribünen spielten sich unbeschreibliche Freudenszenen ab. 4:4. Die Bayernelf musste zu allem Überfluss noch einen Feldverweis hinnehmen - Schiedsrichter Bonacker schickte Gersdorff nach wiederholtem Foulspiel vorzeitig in die Kabine.

 

In den letzten sechs Spielminuten verwandelte sich das Betzenberg-Stadion vollends in ein Tollhaus. Seppl Pirrung wirbelte mit seinen Dribblings die Abwehr der Bayern durcheinander, Sandberg und Ackermann, die immer wieder ihre Positionen wechselten, setzten empfindliche Nadelstiche, Bitz und Laumen kurbelten das Angriffsspiel des FCK unermüdlich an und sogar Mittelläufer "Dittes" Schwager tauchte vor dem Münchner Strafraum auf. Bei einem gelungenen Angriff erlief sich in der 84. Minute der zuverlässige Defensivmann Ernst Diehl im Strafraum den Ball und betätigte sich mit Erfolg als Torjäger - sein Schuss schlug zum 5:4 im gegnerischen Tor ein. Freude und Jubel bei den Spielern und ihren Fans kannten keine Grenzen. Wie paralysiert wirkten die Akteure des FC Bayern in den letzten Minuten - eine Stunde lang sahen sie sich als die sicheren Sieger - und nun führte der 1. FCK!

 

Getragen von der Begeisterung auf den Rängen stürmten die Lauterer weiter, Laumen erhielt den Ball und jagte ihn mit einem überlegten Schuss unhaltbar in das linke Toreck. 6:4. Laumen wurde von seinen Mitspielern vor Freude beinahe erdrückt. Und in der Schlussminute zeigte Laumen erneut, weshalb er in Mönchengladbach ein so erfolgreicher Torjäger war - mit einer kurzen Körperdrehung versetzte er seine Verteidiger und schlenzte den Ball direkt neben dem rechten Pfosten ins Tor. 7:4.

 

Schlusspfiff. Auch der in der ersten Halbzeit so unglückliche Torhüter Elting konnte nun mitjubeln und sich wie die anderen Spieler im Dress des 1. FCK von den Zuschauern, die ihr Glück kaum fassen konnten, ausgiebig feiern lassen. In der Mannschaft von Münchens Trainer Lattek standen mit Maier, Schwarzenbeck, Hoeneß, Müller und Beckenbauer Nationalspieler, die mit der deutschen Nationalmannschaft acht Monate später Weltmeister 1974 werden sollten. Dies wertete den Erfolg der von Erich Ribbeck trainierten FCK-Elf zusätzlich auf. Dem dreifachen Torschützen Seppl Pirung bot Bayern München nach seiner überragenden Vorstellung einen Vertrag an, den dieser aber ablehnte.

 

Bis heute zählt das "7:4" zu den ganz besonderen Spielen, an die sich nicht nur die älteren FCK-Anhänger nach wie vor mit Freude und Stolz erinnern.

 

Alle Betze-Freunde haben an Öffnungstagen des FCK-Museums jederzeit Gelegenheit, die Tore dieses Spiels mit seiner einzigartigen Dramaturgie noch einmal in Farbe auf dem Bildschirm zu genießen.

 

Wer an jenem 20. Oktober 1973 nicht auf dem Betzenberg dabei sein konnte oder noch zu jung war, sollte das Angebot des FCK-Museums unbedingt wahrnehmen - es lohnt sich!

 

hw (Zeitzeuge)

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